28. April 2022
OTTO-BORST-PREIS 2022
Der "Forum Stadt - Netzwerk historischer Städte e.V." hat 2022 zum 9. Mal den Otto-Borst-Preis für Stadterneuerung ausgelobt. Mit ihm werden herausragende Maßnahmen aus Erhaltung, Sanierung, Umnutzung und Weiterbau ausgezeichnet.
Unser Architekturbüro nahm mit dem Projekt "Sanierung des Heizwerkes Erfurt" in der Kategorie "Stadtbaustein" teil. Michael Rommel für die hks | architekten und Ulf Hestermann für die HEIZcraftWERK Bauherrengemeinschaft nahmen am 28.04.2022 in Meran den Preis entgegen.
hks | architekten widmen diesen Paul Börsch, einem Wegbereiter für dieses Projekt und einem Freund der Stadt Erfurt, der das Stadtbild in den Jahren seines Wirkens als Chefstadtplaner der Landeshauptstadt Thüringens mit seinem Wissen und seiner Leidenschaft geprägt und mit seinen Visionen und Ideen Impulse gesetzt hat, die heute und auch in Zukunft wirken.
Heizwerk Erfurt
Das Heizwerk der ehem. Königlich Preußischen Gewehrfabrik Erfurt ist ein städtebaulich und architektonisch prägender Bestandteil des Stadtbildes und stellt als Denkmal der Industrie-kultur eines der letzten Zeugnisse des ehem. Industriestandortes im Erfurter Brühl dar.
Das Heizwerk wird an zentraler Stelle neben dem Theater Erfurt zu einem attraktiven und urbanen Stadtbaustein. Die Transformation des gesamten Stadtteils Brühl, Anfang der 1990er Jahre gestartet, zum neuen Wohn- und Kulturort wird mit dieser behutsamen Entwicklung stadtbildprägender Gebäudesubstanz als Wegmarke für Erfurt am neuen Theaterplatz gesehen.
Weit über 125 Jahre Nutzungsgeschichte (zunächst Gewehrfabrik, ab 1915 als ‚Olympia‘ & nach 1945 als ‚Optima‘ Büromaschinenwerk) sind durch die Sanierung, Umnutzung und Erweiterung für die nächsten Generationen gesichert und durch die Veranstaltungsflächen (MASCHINENHALLE, KESSELSAAL + KOHLENBUNKER) für die Stadt als öffentliche Nutzung zugänglich und somit die industriekulturelle Identität neu erlebbar.
Die Architekten hatten die Chance nach einem gewonnenen Wettbewerb im Jahr 2010, sich dem Gebäude vertieft zu widmen. Die landeseigene Entwicklungsgesellschaft als Eigentümer und Auslober des Wettbewerbes hat die Sicherung des Gebäudebestandes parallel zum Wettbewerb initiiert und ausgeführt. Dadurch konnte die vorhandene Ressource ‚Heizwerk Erfurt‘ mit langlebigen, wertigen Baustoffen und Baukonstruktionen errichtet, durch die Sicherungsmaßnahmen in einen sanierungsfähigen Zustand versetzt werden.
Ein neuerlicher Zwischenzustand entstand durch die Abkehr von der im Wettbewerb geplanten Nutzung. Die ‚Bespielung‘ mit Konzerten, Lesungen, Ausstellungen in der MASCHINENHALLE und dem KESSELSAAL und das Potential der Industriebaukultursubstanz, inspirierte die Bauherrengemeinschaft HEIZcraftWERK sich über ein Konzeptverfahren im Jahr 2016 mit dem umgesetzten Nutzungskonzept von ‚Kultur und Kommerz‘ zu bewerben und durchzusetzen und das Heizwerk nach weiteren 2 Jahren Initiierungs- und Entwicklungszeit von der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen zu erwerben.
Die Vermarktungsstrategie des Verkäufers zunächst die Sicherung des Bestandes zu priorisieren. Die Nutzungsüberbrückung des gesicherten Bestandes mit geeigneten temporären Nutzungen als ‚Sicherungsstrategie‘ zu ermöglichen, quasi als Möglichkeitsraum für Zukünftiges ist beispielgebend. Abschließend attraktive Nutzungen in den Gebäuden und dem Ensemble die Chance zu geben, den Bestand zu bewahren und weiter zu nutzen, war hierbei Hoffnung und Vision der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft.
Die Neunutzung des historisch bedeutsamen Gebäudebestandes Heizwerk und die Weiternutzung der in Dimension und Charakter vorhandenen Bau- und Raumsubstanz konnte durch einen pluralen und lebendigen Mix aus Kultur- und Veranstaltungsflächen, Gastronomie und moderner Arbeitswelten aktiviert werden.
Die Bausubstanz zeichnet sich durch ihren besonderen Industriecharakter aus. Der Charme der morbiden Oberflächen und Materialien, der nicht mehr genutzten Technik und deren Befestigungen und die grundsolide, stabile Tragstruktur folgte einem übergeordneten Leitbild „ALT bleibt ALT – Wie wenig ist genug?“ als Sanierungskonzept.
Der ‚Radikalität der Verwendung des puren unverfälschten historischen Materials‘ und die ‚Einbeziehung der historischen Zeugnisse ins Konzept‘ stand die dialogische Entscheidung zum Weglassen bei allen Entscheidungen gegenüber.
Im Heizwerk entsteht das Neue im Bestehendem im respektvollen Nebeneinander durch die verbindende und komplementäre Materialisierung des Neuen. Der schroffe Industriecharakter bleibt nahezu unverändert erhalten und wird nur um das Nötigste ergänzt. Die Materialisierung im Alten und Neuen geht über die technisch etablierten Standards hinaus. Traditionelle Baustoffe wie Mauerwerk, Beton und Putzoberflachen Prägen das Heizwerk. Die äußere Hülle wird erhalten und – wo notwendig – gesichert und ergänzt. Gebrauchsspuren der letzten 100 Jahre werden nur dort, wo zwingend erforderlich, repariert. Sowohl die Farbigkeit als auch die Materialität der historischen Baustoffe werden in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Bis auf wenige Bereiche wird deshalb auf Anstriche verzichtet. ‚Originales‘ steht neben ‚Bestehendem‘ und wird sichtbar belassen.
Die 'graue Energie', die vom Material über den Transport bis zur Konstruktion in diesem Bestandsgebäude steckt, konnte gesichert und perfekt eine neue Nutzung aufnehmen. Neben dem Kulturangebot in den Veranstaltungsräumen, ist die Revitalisierung und Sanierung an sich ein Beitrag zur neuen Kultur des Pflegens und Reparierens von Bausubstanz. Ein Erweiterungsbau ergänzt die bereits gebundene ‚Graue Energie‘ der vorhanden Bausubstanz angrenzend an die beiden Bestandsbauten des Heizwerkes durch eine transparente Gebäudefuge, die eine Zäsur zwischen Neu und Alt darstellt, gleichzeitig den urbanen Charakter der Baumasse stärkt.
Die wechselseitige Kulisse von Bestand und galerieartiger Situation ist ein besonderes Erlebnis, um die Dimension des Treppen- und Wegraumes zu erfahren. Die ergänzenden Treppenhäuser sind für die Erweiterung und den Bestand nutzbar. Energetisch reduzieren die Erweiterungsflächen die thermische Hüllfläche des Bestandes erheblich.
Die Lorenbrücke dient zur Erschließung des Gebäudes in den Kohlenbunker und zur Verbindung in die angrenzenden nördlichen Stadtquartiere dient die Fußgängerbrücke Richtung Norden. Die Neuerrichtung an gleicher Stelle bildet einen repräsentativen Zugang zum Kohlenbunker. Historische Fotos zeigen eine Stahlkonstruktion mit Fachwerkgeometrie als Transportbrücke für die früher in den oberen Gebäudebereich anzutransportierende Kohle.
Der Brückenentwurf für die Spannweite von immerhin 45 Meter in einer Höhe von 17 Meter als Stahlträgerelement auf zwei 21 Meter hohen Pylonen und einem unterspannten Hängewerk benötigt nur 11 Tonne Stahl ist somit materialsparend und optimiert konstruiert. Es entsteht ein eigenständiges, ästhetisch eindrückliches, neu hinzugefugtes Bauelement mit zeichenhafter Wirkung in das Umfeld.
Eine außen sichtbare Veränderung, zeigt sich durch das neu errichtete, gebogene Sheddach hinter dem repräsentativen Schildgiebel der Eingangsfassade. Diese Typologie des Sheddaches entstammt aus dem traditionellen großflächigen Gewerbebau des 19. Jahrhunderts mit der Qualität einer natürlichen Belichtung und Belüftung über die Dachfläche. Diese Qualitäten kommen heute den Nutzern in dieser Arbeitswelt zugute.
Die im Bestandsgiebel durch Klinkerflächen begrenzte Putzfaschen dienen als geometrische Öffnungsbegrenzung für die neuen Giebelöffnungen. Diese komplexe kegelmantelförmige Geometrieform ist nur mithilfe eines dreidimensionalen, digital erzeugten 3-D Gebäudemodells mit der notwendigen geometrischen Präzision planbar und herstellbar. So konnte ein besonders innovativer Ansatz als Neuinterpretation des Industrie-Sheddaches im Bogenverlauf der historischen Ziegelschildgiebels verfolgt werden. Für das Dach wurde einheimisches Fichtenholz tragend und gestaltend eingesetzt.
Mit dem HEIZWERK Erfurt konnten die hks | architekten und die ‚Bauherrengemeinschaft HEIZcraftWERK‘ einen gelungenen Beweis anstellen, dass es sich lohnt dem Erhalt und dem materiellen, wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden in jedem Fall eine Chance zu geben bevor ein leichtfertiger Abriss unsere industriekulturelle Identität vernichtet.